Flow – an inside job

Auf fast schon geheimnisvolle Art hast du den Punkt der Erschöpfung überwunden und es läuft alles wie von selbst. Da ist dann eine gewisse Leichtigkeit zu spüren, die Zeit scheint zu fliegen und du mit ihr. Kennst du dieses Gefühl?

Flow ist ein Zustand. Schon Maria Montessori beobachtete diesen außergewöhnlichen Zustand, wenn sie den Kindern beim Spiel zusah. Sie erachtete diesen Zustand für ihre Pädagogik als essentiell und verwendete hierfür den Begriff Polarisation der Aufmerksamkeit. Das Kind, das selbstvergessen, völlig im Hier und Jetzt verweilend, mit Lust und Hingabe sich dem Spiel hingibt. Ich erwähne dies an dieser Stelle, weil ich denke, dass die Flow-Erfahrung für keinen Athleten etwas gänzlich Neues ist. Es ist vielmehr so, dass aufgrund der Kindheitserfahrungen jeder Athlet schon eine gewisse Vertrautheit mit diesem Flow-Zustand mit sich bringt. Als Erwachsener stehen uns dann oftmals verschiedenste Dinge im Weg, um diesen Flow-Zustand wieder erleben zu können.

Jan Frodeno meint in seinem Buch „Eine Frage der Leidenschaft“, dass es in jedem Ironman die Traumvorstellung sei, in einen Rhythmus zu kommen, in dem es einfach laufe. Alles was du dir über Jahre antrainiert hast, rufst du dann automatisch ab. Was gibt es nun zu wissen über diesen von Jan Frodeno erwähnten Rhythmus?

Der amerikanische Sportpsychologe James E. Loehr gilt schon seit mehr als 20 Jahren als einer der erfolgreichsten. In seinem Buch „Persönliche Bestform durch Mentaltraining: für Sport, Beruf und Ausbildung“ schildert er, wie er 300 Athleten aus ganz unterschiedlichen Sportbereichen danach befragte, wie sie sich im Moment ihrer erbrachten Top-Leistungen gefühlt hatten. Die Auswertung dieser Studie führte zu einer Auflistung von Merkmalen, welche die innere Verfassung für den idealen Leistungszustand charakterisieren.

Diese Merkmale des idealen Leistungszustandes nach James E. Loehr (1988) lauten wie folgt:
* Du fühlst dich entspannt und locker.
* Du nimmst ein Gefühl der inneren Ruhe wahr.
* Du bist voller Energie und Tatenkraft.
* Du fühlst dich positiv und optimistisch.
* Du bist voller Vorfreude auf das Kommende.
* Alles fühlt sich mühelos an und du vertraust auf deine erlernten Automatismen.
* Du fühlst dich geistig hellwach.
* Du hast das Gefühl, mental vollkommen fokussiert zu sein.
* Du fühlst dich selbstsicher und hast die Kontrolle über dich.

Einen weiteren Forscher, den ich dir in diesem Zusammenhang vorstellen möchte, ist Mihály Csíkszentmihályi. Er beschrieb das Flow-Erleben schon Mitte der siebziger Jahre und gilt als der herausragendste Forscher auf diesem Gebiet. Von der Glücksforschung kommend entwickelte er eine Theorie verschiedenster Merkmale des Flow-Erlebens. Diese Merkmale gelten übrigens nicht nur für den Sportbereich. Ganz besonders betont Csíkszentmihályi die Bedeutung des Spielerischen in Flow-Handlungen. Auch er meint, dass Flow keine Technik ist, sondern ein Zustand.

Beim Erleben des Flow-Zustandes treffen gemäß Csíkszentmihályi die folgenden Merkmale zu:
* Ein klares Ziel vor Augen. Dann aber tun, was zu tun ist, ohne sich darum zu scheren, was am Ende rauskommt.
* Die Herausforderung muss machbar sein: Du bist gefordert, aber nicht überfordert.
* Nicht erst das Ziel ist befriedigend, sondern schon die Tätigkeit selbst lohnt sich.
* Der Flow-Zustand lässt sich nicht willentlich erzeugen. Es ist ein Seins-Zustand.
* Volle Präsenz und fokussierte Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt.
* Mühelosigkeit und ein harmonischer Ablauf der Dinge sind feststellbar.
* Nicht versuchen, das Gefühl von Kontrolle willentlich zu erlangen. Es tritt im Flow automatisch auf.
* Ein Verlust des Zeitgefühls ist erlebbar.
* Selbstvergessenheit: Du bist eins mit deinem Tun und dein Ego verschwindet.

Mir gefällt die Beschreibung des Flow-Zustandes von Shaun White ganz ausgezeichnet. Shaun, dreifacher Gold-Medaillen Gewinner bei Olympischen Spielen, ist in Amerika ein Superstar und hat Snowboarden überhaupt erst populär gemacht. Er beschreibt den Flow wie folgt: „At that point you’re really not thinking, you’re just letting it happen. It’s a mixture of being completely focused, then slightly not caring.“

Muss ein Athlet nun alle diese Merkmale gleichzeitig erleben, um in den Flow zu kommen? Wahrscheinlich wäre dies der Idealfall, es genügt aber schon, wenn der große Teil dieser Merkmale zutrifft. Die Flow-Forschung meint hierzu, dass sowohl das Können des Athleten als auch die Herausforderung des Wettkampfes hoch sein müssen, um überhaupt ein Flow-Erlebnis möglich zu machen. Meine persönliche Erfahrung ist die, dass uns der Verstand mit all seinen Gedanken und Bewertungen oft im Wege steht, um in einen Zustand der Unbekümmertheit zu gelangen. In diesem Zustand der Unbekümmertheit kann der Athlet intuitiv auf das während vieler Jahre Geübte zugreifen. Im Training darf der Verstand dabei sein, die Dinge werden dort oftmals mit Hilfe von Trainern und Videos analysiert und besprochen. Ein lösungs- und entwicklungsorientiertes Vorgehen ist hier angesagt. Aber im Wettkampf gilt es auf die Automatismen zu vertrauen, den Geist weitestgehend zu beruhigen.

Phil Jackson, US-amerikanische Basketballtrainer-Legende und erfolgreichster Coach der NBA-Geschichte mit 11 Titeln formuliert das wie folgt in seinem Buch „Eleven Rings“: „The secret is not thinking. You have to quiet the endless jabbering of thoughts so that your body can do instinctively what it’s been trained to do without the mind getting in the way.“ Um genau diese besondere Form der Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu trainieren, ging Phil Jackson sogar so weit, dass er einzelne Trainingseinheiten in einer komplett dunklen Halle absolvieren ließ. Die quasi blinden Basketballspieler mussten sich dieser Herausforderung stellen und es erforderte natürlich schon seine Zeit, diese Form der erhöhten Aufmerksamkeit zu entwickeln.

Sobald du anfängst darüber nachzudenken, welche Auswirkungen der momentane Spielstand auf die Tabelle haben könnte, wer der nächste Gegner sein könnte, wo das nächste Auswärtsspiel stattfinden wird, welches möglicherweise besseres Material dein Gegner haben könnte, wirst du den Fokus auf das Hier und Jetzt verlieren. Wenn das passiert, nimm es wahr und lenke deine Aufmerksamkeit wieder auf das Hier und Jetzt zurück. Unterschiedlichste Aufmerksamkeitsanker, wie z. B. dein Atemrhythmus, werden dich dabei unterstützen.

Neben einem ruhigen Geist und dem Fokus auf das Hier und Jetzt, ist deine Orientierung am Prozess eine entscheidende Gelingensbedingung für ein Flow-Erlebnis. Es geht im Moment des Tuns nicht um das Ergebnis, sondern um das Tun selbst. Wenn dieses Tun mit Freude und voller Leidenschaft geschieht, dann stellt sich das entsprechende Ergebnis wie von selbst ein. Und genau das erleben Kinder, wenn sie selbstvergessen und mit einer gewissen Unbekümmertheit im Hier und Jetzt in ihrem Spiel aufgehen. Ein Kind denkt nicht zuerst lange darüber nach, ob und wie es sein Spiel angehen möchte. Das Kind macht es einfach!

Amerikanische Athleten sprechen übrigens oft nicht vom Flow, sondern bezeichnen das als „to be in the zone“. Dementsprechend häufig verwenden sie den Begriff „the zone“, wenn sie selbst den mentalen Zustand der optimalen Leistungsfähigkeit beschreiben.

Ein Großteil der Merkmale, welche James E. Loehr für den idealen Leistungszustand bzw. Mihály Csíkszentmihályi für das Flow-Erlebnis anführen, sind integrale Bestandteile eines regulären Mindfulness-Trainings. Umso öfter du Mindfulness praktizierst, umso wahrscheinlicher ist es, dass du die Gelingensbedingungen für diesen erwünschten Zustand des Flows positiv beeinflusst.

Allerdings kann ein Flow-Zustand nicht willentlich herbeigeführt werden. Deshalb macht es durchaus Sinn, wenn sich ein solches Flow-Erlebnis eingestellt hat, genaue schriftlichen Notizen zu machen, was die konkreten Umstände waren, die zu diesem Flow-Erlebnis führten. Die daraus gewonnenen Einsichten können dann in Zukunft erneut ausprobiert und gegebenenfalls angepasst werden. So kannst du über die Jahre hinweg dein eigenes Geheimrezept für dein Flow-Erlebnis erarbeiten und die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Flow-Erlebnis dann auch bei einem ganz bestimmten Wettkampf einstellen wird, deutlich erhöhen.

„The secret is not thinking.”

Phil Jackson

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